New drug withdrawal in the Bernese Oberland The Israeli doctor Andre Waismann wants to help the regional hospital Interlaken, with heroin addiction

Basler Zeitung

WRITTEN ON: JAN 01 2013

Der israelische Arzt André Waismann hilft im Spital Interlaken Heroinsüchtigen. Ein Pilotprojekt verlief trotz anfänglicher Skepsis überzeugend. Dennoch wird Widerstand von Suchtexperten erwartet.

(Suchtdoktor: André Waismann war im November Hauptakteur eines Pilotprojekts im Berner Oberland.)

Heroin- und Schmerzmittelabhängigkeit ist für ihn weniger ein psychoso­ziales Problem, sondern in erster Linie ein ­medizinisches. Der israelische Arzt ­André Waismann hat die letzten 16 Jahre am staatlichen Barzilai-Spital, unweit vom Gazastreifen, Tausende Opiat-­Abhängige von ihrer Sucht befreit – nach eingehender Forschung und mehrfacher Modernisierung seiner Methode, die ANR heisst.

Nun wurde die Entzugs- und Heilungsmethode von Waismann erstmals in der Schweiz am Regionalspital Interlaken angewendet. Und das vielversprechend, wie im ­Gespräch mit der dortigen Chefärztin für Anästhesie und Intensivmedizin, Patricia Manndorff, klar wird. Sie hat die Behandlung persönlich durchgeführt. Am Pilotprojekt in Interlaken haben vergangenen November sieben Methadon- und Heroinabhängige teilgenommen. Sechs junge Schweizer und ein ­Österreicher wurden von Manndorff unter der Supervision von Waismann behandelt, mithilfe und unter Beobachtung des lokalen Spitalpersonals.

Anfängliche Skepsis verflogen

Knapp zwei Monate später zeigt sich die leitende Ärztin Patricia Manndorff nachhaltig überzeugt: «Einzelne Patienten kamen zugedröhnt zu den Vorgesprächen. Nach der Behandlung waren sie sichtlich suchtfrei, positiv verändert, sie waren emotional präsent und sehr dankbar.» Die Behandelten hätten das Spital optimistisch verlassen, überzeugt vom Neuanfang, erzählt Manndorff. Aus ihrer anfänglichen Skepsis gegenüber Waismann und dessen ANR-­Methode macht die Chefärztin am Institut für Anästhesie und Intensivmedizin des Regionalspitals Interlaken keinen Hehl.

Misserfolge bei «Wundermethoden» aus den Achtzigern und Neunzigern mit sogenannt forciertem Drogenentzug im Schlaf und hoher Rückfallquote unter den Abhängigen sind der erfahrenen ­Anästhesistin und Intensivmedizinerin in schlechter Erinnerung. Trotzdem war sie nach mehreren Gesprächen bereit, das Pilotprojekt an ihrem Spital durchzuführen. «Da könnte was dran sein», habe sie sich nach intensivem Fachaustausch mit Waismann gesagt.

«Das ist keine Scharlatanerie»

Die Vorbereitungen zum Pilotprojekt waren nach den Ausführungen Manndorffs umfassend, «wir wollten medizinisch auf der sicheren Seite sein», sagt sie. Zwischen Waismann und Manndorff vermittelt hatte zuvor der Berner Hausarzt Daniel Beutler, der seinerseits über einen BaZ-Artikel im Sommer 2011 vom israelischen Arzt und dessen Verfahren erfuhr. Heute sagt Manndorff über ­Waismanns ANR: «Die Methode ist seriös, sicher und von klinischer Seite her gut gemacht. Das ist keine Scharlatanerie.» Manndorff arbeitet seit 2002 in leitender Stellung am Spital Interlaken und wurde 2007 Nachfolgerin des Arztes und bekannten Berner SP-Nationalrats Paul Günther.

Die Medizinerin stammt aus dem deutschen Freiburg und wurde im Sommer als eine der Hauptfiguren in einer «Dok»-Serie des Schweizer Fernsehens über Assistenzärzte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Ein positives Fazit nach seinem Engagement im Berner Oberland zieht auch André Waismann. «Ich habe gespürt, wie beeindruckt das medizinische Personal über die Möglichkeit war, durch moderne Medizin therapeutische Ziele zu erreichen, die viele Suchtexperten für ausgeschlossen halten.» Insgesamt sei er zufrieden mit dem Wissensstand und den medizinischen Fähigkeiten, die er beim Interlakener Spitalteam angetroffen habe. Dasselbe gelte für die Infrastruktur vor Ort.

Waismann erwartet Gegenwind

Innert Tagen frei von krankhafter Schmerzmittel- oder Drogensucht: Wird das Unmögliche in der Schweiz bald möglich? Waismann, der seit Monaten nach einem verlässlichen Weg sucht, ANR in der Schweiz zu etablieren, ist vorsichtig optimistisch. Manndorff und Beutler wollen nun in einem nächsten Schritt eine Studie, die Bedingung ist für die offizielle Zulassung. Die Studie begleiten soll Medizinprofessor Peter Jüni, Vorsitzender des Lehrstuhls für klinische Epidemiologie und Bio­statistik an der Universität Bern.

Widerstand dürfte dem Vorhaben auf Ebene von Suchtexperten erwachsen. Zahlreiche Fachleute sind heute Teil eines feingliedrigen Netzes, das sich um die 19’000 Schweizer Heroin- oder Methadon-Abhängigen rankt. Die entsprechende Drogenpolitik gilt deshalb als Erfolg, weil es gelungen ist, die Beschaffungskriminalität zu minimieren und Abhängige durch Ersatzstoffe gesellschaftlich zu integrieren. Waismann steht solcher Politik eher skeptisch gegenüber. «Ich beobachte in manchen westlichen Ländern, dass unglücklicherweise Heerscharen von Sozialarbeitern, Psychologen und Strafverfolgern Heroinabhängige behandeln. Man entfernt Abhängige von der Gesellschaft, ohne sie wirklich von ihrer Sucht zu befreien,» sagt er dazu.

Suchttherapie als Markt

Auch Chefärztin Patricia Manndorff erwartet ­Gegenwind. Suchttherapie sei «auch ein Riesenmarkt». Mit der Studie soll deshalb erreicht werden, dass die politische Diskussion über ANR in der Schweiz auf sachlicher Ebene erfolgen kann. ANR ist die Abkürzung für Accelerated Neuroregulation, was aus dem Englischen übersetzt «beschleunigte Regulierung des Nervensystems» bedeutet. Der Behandlung im Spital geht ein zumindest mehrwöchiger ambulanter Prozess beim Drogenspezialisten Daniel Beutler voraus. Nach gründlicher Vormedikation und Überwachung am Morgen werden die Abhängigen am Nachmittag in einen fünf- bis sechsstündigen Tiefschlaf versetzt und unter Supervision von Waismann durch Manndorff entgiftet.

Dabei werden Schritt für Schritt die Opiaterezeptoren im Körper blockiert, so dass die krankhafte Gier nach Heroin oder Schmerzmitteln anschliessend verschwunden ist. Am Abend wachen die Patienten auf, werden bis am nächsten Morgen medizinisch betreut, am zweiten Tag suchtbefreit entlassen und für drei Tage noch ambulant begleitet. Ein individuell dosiertes Medikament (Naltrexon) sorgt nach der Spitalbehandlung dafür, dass dies so bleibt. Es wird je nach Abhängigkeitsgrad nach zehn bis 14 Monaten abgesetzt.